Die Kirche der Zukunft braucht Mystiker

Auf Einladung der Hünfelder Kolpingsfamlie sprach Pallotiner-Pater Siegfried Modenbach am 04. Novembe zum Thema „Zukunft der Kirche – Kirche ohne Zukunft?“: „Nicht nur die Kirchlichkeit, auch Religiosität geht insgesamt zurück. Wir befinden uns inzwischen in einer säkularen Mehrheitsgesellschaft“, so Modenbach. Die Kirche der Zukunft müsse sich ändern, brauche „Mystiker“, Menschen, die zu ihrem persönlichen Glauben stehen, die aus Überzeugung ein lebendiges Glaubenszeugnis geben.


Der Pallotiner-Pater, der im Sauerland ein Geistliches Zentrum leitet, bezog sich bei seinen Ausführungen u.a. auf eine Kirchenmitgliedsuntersuchung (KMU 6) vom November 2023, die von der evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegeben wurde. Kirchenbindung und Religiosität gingen in Deutschland noch stärker zurück als angenommen. Die Kirchen seien multiplen Krisen und hohen Reformerwartungen ausgesetzt. Ein erstes Fazit lasse sich wie folgt formulieren: Einerseits gebe es eine deutliche Entkirchlichung, aber auch eine Gleichgültigkeit gegenüber Religion allgemein. Andererseits werde von den Kirchen immer noch viel erwartet. Sie hätten nach wie vor eine hohe soziale Reichweite - im Gegensatz zur religiösen - in die Gesellschaft hinein. Weiterhin stärke sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt, besonders über das ehrenamtliche Engagement.


In der klassischen Pfarrgemeinde vor Ort, der am meisten konsultierten Kontaktstelle der Kirchen in unserer Gesellschaft, sei das Erleben von Gemeinschaft für bis zu 90 % ein zentrales Motiv, wobei religiöse Fragen für durchschnittlich 35 % der Engagierten eine wichtige Motivation darstelle. Deutlicher werde dieser Kontrast noch, wenn man Menschen frage, wie häufig sie sich über religiöse Themen austauschten: 66 % der Deutschen „gar nicht bis selten“, 28 % „gelegentlich“, 6 % „häufig“. Ein zweites Fazit laute also: Religion an sich bzw. der Glaube der Christen gerate trotz hoher kirchlicher Reichweite und Präsenz mehr und mehr in Vergessenheit.


Was bedeute das nun für die Kirche? Die Untersuchung KMU 6 zeige ein Dilemma aus Ernüchterung und gleichzeitiger Ermutigung. „Aus meiner Sicht wäre die fundamentalste Aufgabe, die Gleichgültigkeit gegenüber der Religion und die zukünftige Minderheitenposition des Christentums ehrlich anzuerkennen und zu fragen, welche Art von Minderheit wir sein wollen“, so Modenbach. Eine Antwort gebe der aus Münster stammende Professor für Praktische Theologie, Jan Loffeld, der als Hochschulseelsorger tätig gewesen sei: Um dem sogenannten „Weltauftrag“ des II Vatikanischen Konzils gerecht zu werden, Kirche für die Welt als „Ganzes“ da zu sein, müsse Kirche zukünftig mehr schöpferisch, konstruktiv und inklusiv handeln. Es genüge nicht, deformierte Strukturen auszubessern.


In diesem Zusammenhang sei es dringend notwendig, den Menschen das Evangelium, die befreiende Kraft der frohen Botschaft anzubieten – und damit den Kern des Glaubens. Kirche müsse stärker als bisher für die Menschen da sein (auf der „horizontalen“ Ebene) im untrennbaren Miteinander; gleichzeitig bedürfe es der „vertikalen“ Botschaft, dass Gott für die Menschen da sei und er sie liebe. Beides gehöre zusammen. Vor diesem Hintergrund schlägt Modenbach vor, ein „betreutes Lernen“ mit Leben zu füllen – für Bischöfe, für Priester, aber auch für Laien. Nur so könne eine Dynamik des künftigen Christseins entstehen, das aus kraftvollen spirituellen Impulsen lebt, aus gründlicher theologischer Reflexion und dem Mut zu Experimenten.


Modenbach sprach von einem „Karsamstag des Christentums“, der nur schwer auszuhalten sei. Das Christentum brauche jene Mystiker, die als „Alltagsheilige“ die Tiefendimension des Glaubens systematisch kultivierten. Hilfreich wären spirituelle bzw. pastorale Zentren. Orte, an denen Menschen miteinander ihren Glauben leben und Hoffnungsperspektiven entwickeln könnten. „Letztendlich aber müssen wir es Gott überlassen, auf welche Weise er dem einzelnen Menschen Erlösung und Heil schenken will“, so Pater Modenbach. Die Kirche sei nicht die Eigentümerin des Heils. Das Christentum habe da eine Chance, wo Menschen für sich Erlösung und Entlastung erfahren würden, nicht alles selber machen zu müssen. „Gott ist sicher nicht notwendig und die Kirche zweimal nicht! Aber der ´Gott der unendlichen Liebe` ist ein Geschenk, das wir dankbar annehmen dürfen“, so Modenbach am Schluss seiner Ausführungen.

 

In der anschließenden Aussprache ging es vordergründig um den Glauben als Hilfe zum Leben. In der Gottes- und Nächstenliebe werde dies deutlich, ebenso bei der Vermittlung christlicher Werte. Kirche dürfe sich nicht in Strukturfragen aufreiben, sondern müsse Sensibilität für die Krisen unserer Zeit entwickeln.
Nach langanhaltendem Applaus für einen sehr tiefgründigen Vortrags- und Diskussi-onsabend schloss Modenbach mit einem Gebet der katholischen Schriftstellerin und Pastoralreferentin Andrea Schwarz. Hier heißt es: "Manchmal ist es nicht einfach, in dieser Kirche Schritte der Nachfolge zu gehen. Schenk uns die Kraft, diese Kirche mitzugestalten, schenk uns den Mut, der Zukunft zu vertrauen!"

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