Die Kolpingsfamilie Hünfeld im Nationalsozialismus
„Da die Hünfelder Nationalsozialisten in der sehr aktiven Hünfelder Kolpingsfamilie einen Hauptgegner in ihrem Streben nach der Macht in der Kreisstadt sahen, folgten sie der An-weisung des Führers der Deutschen Arbeitsfront und verfolgten die Kolpingsfamilie perma-nent“. Mit diesem Zitat aus dem Buch ´Stationen der Machtübernahme` von Elmar Schick eröffnete Dietmar Weidenbörner seinen Vortrag zur Situation der Hünfelder Kolpingsfamilie in den Jahren 1933 bis 1940. Die Veranstaltung fand statt im Rahmen der Kolpingkampagne „Zusammen Demokratie Stärken“.
Im gut besuchten Kolpinghaus blickte Weidenbörner auf den Zeitraum der Schreckensherr-schaft des sogenannten „Dritten Reiches“ zurück, das in Hünfeld konkrete Ziele mit Blick auf die Kolpingsfamilie verfolgte: Die „Zerstörung der starken religiösen und sittlichen Bindung der Mitglieder, damit verbunden eine Eliminierung dieses wichtigen Widerstandskreises und die Besitznahme des Gesellenhauses (des Kolpinghauses)“. In einem Erlass der Deutschen Arbeitsfront aus dem Juli 1933 heißt es: „Und es ist höchste Zeit, dass sie (die katholischen und evangelischen Arbeitervereine) verschwinden“. Sie seien als Staatsfeinde zu betrachten, weil sie den großen Aufbau behinderten.
Weidenbörner bezog sich bei seinen Ausführungen auf die geheimen Protokollbücher des damaligen Vorsitzenden Joseph Habersack. Diese zeitgeschichtlichen Dokumente führte Ha-bersack parallel zu den offiziellen Büchern, die er der NSDAP-Kreisleitung vorlegen musste. Dort wurde u. a. auch entschieden, ein „national zuverlässiges NS-Parteimitglied in den Vor-stand der Kolpingsfamilie einzuführen“. Warum dies letztendlich nicht umgesetzt wurde, darüber könne man nur spekulieren, so Weidenbörner.
Und die Liste aller weiteren Schikanen gegenüber der Kolpingsfamilie ist lang: Handwerker durften im Kolpinghaus keine Arbeiten ausführen, wenn sie Kolpingmitglieder waren. Eine Doppelmitgliedschaft bei Kolping und in der NSDAP war verboten. Unterschiedliche Veran-staltungen mussten beim Landratsamt genehmigt werden. Bei Prozessionen und Beerdigun-gen durften keine „Kirchenfahnen“ gezeigt werden. Die Stadtverordneten durften nicht mehr an Prozessionen teilnehmen. Handwerksmeister wurden unter Druck gesetzt, indem man ihnen die Aushändigung ihres Meisterbriefes vom Austreten aus der Kolpingsfamilie abhän-gig machte. Wer sich der Anweisung widersetzte, sein Haus anlässlich der Olympischen Spiele 1936 zu beflaggen, wurde von Polizeiwachtmeistern persönlich besucht.
Trotz all dieser Widerstände hatten am 19. Januar 1938 in einer Feierstunde sieben junge Hünfelder Männer den Mut, in die Kolpingsfamilie einzutreten. Eine Teilnahme am „Fami-lienabend“ der Kolpingsfamilie im Februar 1938 war ihnen aber nicht möglich, da die Staats-polizeistelle Kassel „weltliche Veranstaltungen der konfessionellen Vereine und Verbände“ untersagte. Zwei Jahre später, im Oktober 1940, wurde die Kolpingsfamilie auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei verboten, das Kolpinghaus wurde mit allem Inventar beschlag-nahmt. Damit waren die „Geheimbeobachtungen“ der ganzen Bevölkerung hinfällig, die sich sehr intensiv auf Kolpingmitglieder konzentrierten. Bei all den Zerwürfnissen darf aber nicht vergessen werden, dass die Kolpingmitglieder trotz aller Schikanen mit Stolz Deutsche wa-ren, die Wehrmacht unterstützten – ohne der NSDAP-Ideologie Folge zu leisten.
Vor zwei Jahren, im Oktober 2023, feierte die Kolpingsfamilie Hünfeld ihr 160jähriges Grün-dungsfest. Im Rahmen der Festveranstaltung ließen die Kolpingbrüder Berthold Schwalbach und Dietmar Weidenbörner als Chronisten die Geschichte und Entwicklung von Kolping in Hünfeld in einem heiteren mundartlichen Vortrag Revue passieren. Dabei wurde zunächst der Zeitraum der Schreckensherrschaft des sogenannten „Dritten Reiches“, das 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation gegenüber den alliierten Siegermächten endete, ausgespart. Jetzt hatten beide Chronisten die damaligen „geheimen Protokollbücher“ intensiv gesichtet und für diesen Vortrag aufbereitet.
